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Wege – Gestalten – Profile: Eine Onlinetagung zur katholischen Kirche in der sächsischen Diaspora

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Tagungsimpressionen von Constanze Aigner

Katholische Geschichte? Ausgerechnet im „Mutterland der Reformation“ Sachsen? Aber ja! Unter dem Titel „Wege – Gestalten – Profile. Katholische Kirche in der sächsischen Diaspora“ luden das Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde (ISGV) und das Bistum Dresden-Meißen vom 18. bis 20. März 2021 zu einem Online-Kolloquium, um über Fragen und Probleme der katholischen Minderheit in Sachsen v. a. im 19. und 20. Jahrhundert nachzudenken. Anlass war das 100-jährige Jubiläum der Wiedererrichtung des Bistums 1921.

Zahlen und Fakten zum Bistum Dresden-Meißen heute (© Bistum Dresden-Meißen)

Etwas merkwürdig fühlte es sich schon an, am vergangenen Freitag statt eines Tagungsraums eine Videokonferenz zu betreten. Allerdings war das komische Gefühl schnell vergessen, denn die Organisator*innen hatten sich viel Mühe gegeben, ein „echtes“ Kolloquium so gut wie möglich im digitalen Raum nachzubilden. Neben einem Vortragsraum (Videokonferenz via Zoom) wurde auch ein Pausenraum (via wonder.me) eingerichtet, in dem zwischen den Vorträgen Gespräche stattfinden konnten.

Doch der Zustand der Welt im Jahr 2021 machte sich nicht nur in den Rahmenbedingungen bemerkbar – auch viele der Vorträge hatten, obwohl sie sich mit vergangenen Jahrhunderten beschäftigten, deutliche Bezüge zur Gegenwart.

Historische Ansicht des St. Joseph-Stifts in Dresden, in dem Elisabethschwestern als Pflegerinnen tätig waren (Wikimedia Commons, gemeinfrei)

Zwei Themen, die am Vormittag des 19. März mehrfach wiederkehrten waren Fürsorge und Ablehnung. Benjamin Gallin referierte über die „Grauen Schwestern“: katholische Ordensschwestern von der Kongregation der Schwestern von der hl. Elisabeth, die seit dem 19. Jahrhundert in Sachsens Großstädten in der Kranken- und Kinderpflege tätig waren. Obwohl die Schwestern über Standes- und Konfessionsgrenzen hinweg als äußerst kompetent bekannt waren, entstand eine polemische Kontroverse um diese Frauen. Es wurde den Schwestern nicht leicht gemacht, nach Sachsen einzureisen, geschweige denn, ihren Beruf auszuüben. Trotzdem wurde den Schwestern vorgeworfen, sie wollten Sachsen katholisch „unterwandern“, seien gewinnorientiert und pflegten bevorzugt reiche Menschen; ärmere würden der protestantischen Krankenpflege „überlassen“. Dieser Konflikt beschäftigte die Öffentlichkeit, die Presse und die sächsische Regierung mehrere Jahrzehnte lang – erst nach dem Ersten Weltkrieg entspannte sich das Verhältnis zu den Ordensschwestern.

Jan Vilímek: Porträt von Michał Hórnik aus den Humoristické listy (1884), Nr. 26, S. 217 (Wikimedia Commons, gemeinfrei)

Auch Lubina Mahlings Vortrag handelte von Menschen, die Gutes tun wollten und dafür harsche Kritik ernteten. Zahlreiche slawische katholische Geistliche, wie beispielsweise der sorbische Priester Michał Hórnik, unterstützten im 19. Jahrhundert slawische Arbeiter*innen in Sachsen. Sie hörten die Beichte in den Muttersprachen der Menschen, die zu ihnen kamen, unterstützten sie aber auch bei Behördengängen und übersetzten wichtige Dokumente. In einer Zeit, in der starker Antislawismus um sich griff, brachte ihnen das allerdings nicht nur Anerkennung und Dankbarkeit ein. In Tageszeitungen war unter anderem zu lesen, die katholische Kirche solle der „Überfremdung“ Sachsens durch slawische Menschen (Aussage verfremdet um beleidigende und rassistische Begriffe nicht zu wiederholen) keinen Vorschub leisten.

All diese Themen – Probleme im Gesundheitswesen, religiös begründeter Hass, Rassismus und Polemik – sind heute leider genauso aktuell wie vor 200 Jahren. Weitere Vorträge am Freitag und am Samstagvormittag widmeten sich verschiedenen prägenden Persönlichkeiten wie dem im Nationalsozialismus ermordeten Priester Alojs Andricki oder der Schriftstellerin Ida Friederike Görres, die beim Katholischen Bildungswerk tätig war. Bildung und Seelsorge waren so weitere Schwerpunkte des Programmes, das auch die herausragende Rolle der Sorben für das katholische Leben in Sachsen herausarbeitete.[1] Zwei Abendvorträge am 18. März von Bernhard Dittrich und Joachim Wanke zur Rolle des Bistums Meißen als „Diasporabistum“ und am 19. März von Enno Bünz zum mittelalterlichen Vorgängerbistum rundeten die Tagung ab.

Weitere Informationen inkl. vollständigem Programm: https://www.isgv.de/aktuelles/veranstaltungen/details/wege-gestalten-profile-katholische-kirche-in-der-saechsischen-diaspora

Das Kolloquium auf Twitter: https://twitter.com/hashtag/bistumddmei100


Autorin

Constanze Aigner studiert Bibliotheks- und Informationsmanagement an der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern. Im März 2021 absolvierte sie ein Online-Praktikum im Arbeitsbereich Saxonica der Abteilung Handschriften, Alte Drucke und Landeskunde an der SLUB Dresden.


[1] Vgl. zu diesem Thema auch den Beitrag „Katholisches Sachsen. (K)eine transkulturelle Verflechtungsgeschichte“ von Lubina Mahling hier im Blog.


Beitragsbild: Drei Generationen Propsteikirche St. Trinitatis in Leipzig – die Kirchengebäude von 1847 (Ausschnitt, Wikimedia Commons/Zeno.org, gemeinfrei), 1982 (Ausschnitt, Wikimedia Commons/Timur Y, Lizenz: CC BY 3.0) und 2015 (Ausschnitt, Wikimedia Commons/Fred Romero, Lizenz: CC BY 2.0).

Das Wikidata-Item dieses Textes ist (Q106203922).


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